Texte
Annamira Jochim, Kunsthistorikerin, Zürich. Katalogtext anlässlich der Ausstellung ‚Crossroads’ in der Don Bosco Kirche Basel, 2011. „Dieses Gedicht handelt wie die Bilder nicht wirklich von der Natur. Es ist nicht, was man sieht; es ist, was man im Inneren seit jeher weiß.“ (Agnes Martin) Der aus Aachen stammende und seit einigen Jahren in Basel lebende Künstler René Faber interveniert mit einem Diptychon im Chorraum der Basler Kirche Don Bosco. Dies ist besonders bemerkenswert, da der in der Tradition der Moderne durch den Architekten Hermann Baur gestaltete Kirchenraum eine andere Grundvoraussetzung für zeitgenössische Kunst mit sich bringt, als dies gewöhnlich mit heilsgeschichtlichen Bildern und Skulpturen gefüllte Sakralbauten tun. Der für eine katholische Kirche karg und bilderlos ausfallende Raum wird einzig von einem massiven und zugleich filigranen Holzkreuz geprägt. Dessen mächtige Sparren sind in der Mitte des Altarraumes vor einer grauen, grob strukturierten Mauer von Wand zu Wand, respektive vom Boden bis zur Decke verstrebt. In der Mitte sind die Balken zusammengefügt und deuten so die Stelle für den Leib Christi an. Dieser bedeutungsvolle Ort bleibt aber leer. Auf diese Situation reagieren die beiden für die Ausstellung geschaffenen Bilder von René Faber. Pastelltöne und die lineare Gliederung der Bilder in vertikale beziehungsweise horizontale Streifen sind auffällige Gestaltungselemente. Die Grundfarben Rot, Gelb und Blau sind mit Weiss abgemischt und in gleich breite Bänder nebeneinander gelegt. Die Farbstreifen wiederholen sich fortlaufend. Durch Unterbrechungen mittels andersfarbiger Partien und durch Feinunterteilungen in schmalere Streifen entstehen visuelle Korrespondenzen, die das betrachtende Auge hin und her springen lassen. Das sich dadurch einstellende rhythmische Gleichgewicht fügt die Komposition als Einheit zusammen. Die Farbe wurde auf Aluminiumverbundplatten mit der Rolle aufgetragen, um einen gestischen Duktus zu vermeiden. Ein Spannungsfeld und Kontrast zur klaren formalen Struktur der Bilder und zur glatten, pastosen Oberfläche bilden die zufällig und organisch wirkenden Stellen. Diese entstehen durch Ablagerungen von Klebebandresten, durch das Entfernen von Farbe mit dem Spachtel oder durch deren Vermischung beim Auftragen. Charakteristisch für die Malerei von René Faber ist zum einen das Sichtbarwerden einer „Farbarchäologie“ – das Aufzeigen der Schichtungen – und zum anderen das Zusammenspiel von klar strukturierten und chaotischen Elementen, wodurch eine immer wieder neu zu entdeckende Komplexität eröffnet wird. Die Wahrnehmung bewegt sich zwischen den aus dem Bild flüchtenden Streifen und dem die Struktur aufhebenden Farbflimmern. Das Flimmern – begünstigt durch die gleichmässige Helligkeit der Farben – interagiert mit dem Grau der Kirchenwand, vor dem die zarten Farben eine leuchtende Intensität gewinnen. Im Vergleich zu einem dreiteiligen vormodernen Altarbild sind die beiden Bilder von René Faber weit auseinander genommen und lassen das Zentrum frei, in dem traditionellerweise das heilgeschichtliche Hauptgeschehen dargestellt ist. Sie spannen ein über die Bilder hinausgreifendes Wirkungsfeld auf, aus dessen Mitte das Kreuz der Kirche aufragt. Mit diesem verbindet sich das Ereignis der Bilder, das im Titel „Crossroads“ in zweifacher Weise präsent ist: In ihrer imaginären Erweiterung scheinen die Linien die hölzernen Balken zu umfassen und auf diese hinzuführen, zugleich deuten sie in ihrer potentiellen Überlagerung Kreuzungspunkte an. Diese Lesart bleibt jedoch offen, da die gemalten „Kreuzbalken“ in horizontale und vertikale Streifen separiert wurden. Diese bilden zwei Grundkonstanten des Menschen, das Aufstrebende, zum Himmel Reichende und das Ruhende, der Erde Verbundene. Erst in der Wahrnehmung werden die beiden Seiten miteinander verschränkt. Darüber hinaus bringen die Bilder im Farbrauschen einen Moment bewegter Ruhe hervor. So entfalten die selbstreferentiellen, streng formalen und zugleich intensiv leuchtenden, mit dem Raum und dem Betrachter interagierenden Bilder im Kontext des Kirchenraumes ein kontemplatives Potential. In Abgrenzung zur narrativen und auf die Figur bezogenen traditionellen Darstellungsweise christlicher Kunst lassen sie sich einer mystischen Tradition zuordnen, die auf eine innere Gotteserfahrung zielt.
Timothy Grundy, Kunsthistoriker, Basel, Los Angeles. Laudatio anlässlich der Ausstellung ‘René Faber, Malerei’, Universität Bern, 2006 Den Farbraum Atmen: Zu den Bildern von René Faber Die Bilder des Berliner Künstlers René Faber gleichen farbigen Flickteppichen, geschundenen Hauswänden oder einer in Vogelperspektive gesehene vielfarbige Agrarlandschaft. Pastoser Farbauftrag wechselt mit mechanischem Farbabtrag, lässt eine Bildstruktur aneinander gefügter, unregelmässiger Farbrechtecke entstehen. Der Blick durch das bislang entstandene Werk zeigt die sukzessive Ablösung von einer vorgegebenen, an das Bildformat gebundenen Rasterstruktur und die Entwicklung hin zu einer dem Bild nicht vorangehenden Anordnung der Farbrechtecke. Weder kann das Raster von der Bildeinheit noch die Einheit vom Bildraster abgeleitet werden. Bestünde aber zwischen dem Bild selber und dem im Bild Sichtbaren keine verbindliche Einheit, würde sich eine Beliebigkeit einstellen, könnte das Werk bloss als der zufällige Ausschnitt einer beliebig ausgedehnten Wandfläche gedacht werden. Daran folgt unvermeidlich die Frage, weshalb dieser, nicht jener Ausschnitt gewählt ist, d.h. es folgt die Frage nach der Identität des Bildes, nach der im Bild einmaligen und einmalig festgelegten Ordnung. Kann in diesen Werken überhaupt von einer einmaligen Ordnung gesprochen werden? Und welche Bedeutung könnte die Frage nach der Bildeinheit für die Anschauung des Bildes haben, für die im Bild erstellte Sichtbarkeit? Was ist die Sichtbarkeit, die sich in den Bildern Fabers einstellt? René Faber arbeitet mit Vorliebe auf grundierten Aluminiumverbundplatten, deren Festigkeit sich für das Auftragen und Abtragen der Farbe mit dem Spachtel besonders eignet. Mit dem Zusatz von Alkydharz in der Ölfarbe erreicht er das durch den pastosen Farbauftrag mögliche Farbvolumen ohne die üblich resultierende Runzelbildung, wie sie beim Trocknen entsteht. Zudem bleibt die Farbe auch nach der kurzen Trockenzeit elastisch und bearbeitbar, kann geformt und abgeschabt werden. Die rasterartige Strukturierung der Bildfläche wird nicht nur durch das Auftragen, sondern auch durch das Abtragen der Farbe mit dem Spachtel gebildet. Die Ausblicke und Einsichten in die unterliegenden Farbschichten entstehen sowohl durch farbliche Überlagerungen, wie auch durch das Einritzen von Öffnungen in bestehende Farbfelder. Der Durchblick in die Tiefen der Farbschichten lässt sich derart nicht einzig als eine Negativform zwischen den Farbfelder lesen, sondern auch als eine positiv gestaltete Durchsicht – den Farbfeldern vergleichbar – verstehen. Gerade im jüngeren Werk bilden die erstellten Durchblicke mit den aufgetragenen Farbfeldern immer wieder übergreifende Rasterstrukturen, erstellen gerasterte Felder, die sich in gemeinsamen Begrenzungen zu Einheiten einstellen, die nicht die ganze Bildfläche beanspruchen. Innerhalb des Bildfeldes sind sie selber Durchblicke oder Formgebilde einer weitergefassten Rasterung. Aber innerhalb dieser hat das einzelne Farbelement die gleiche Materialität wie der Durchblick, kann zwischen Farbauftrag und Farbabtrag materiell nicht unterschieden werden, kann letztlich nicht entschieden werden, ob das einzelne Farbfeld durch das Abschaben entsteht, oder ob die Durchblicke in unterliegende Farbschichten letztlich nicht Resultat eines bewussten, auftragenden Malvorganges sind. Daran lässt sich eine Beobachtung für die Einheit des Bildes anknüpfen, lässt sich das Gesamtbild sowohl als Ausschnitt aus einer grösseren Wandanlage wie auch als die Gesamtausdehnung der angeordneten Farbfelder verstehen. Gerade indem die Einzelelemente – ob Durchblick oder Farbfeld – immer wieder übergreifende Rasterungen bilden und gerade indem keine deduktive Beziehung zwischen Rasterung und Bildfeld besteht, entsteht ein Bildfeld, das zugleich über sich hinausweist und selber als eine abgeschlossene Grösse gedacht werden kann. Die Bildkanten sind dann eine von innen her erstellte wie auch eine von aussen aufgesetzte Begrenzung, von ihnen her wird das Bild als Bild bestimmt, innerhalb dem die einzelnen Farbfelder einen Rhythmus zur Schau tragen, der notwendigerweise eine übergreifende Ordnung voraussetzt. Die Einzelelemente sind selber nicht Rhythmus, haben nur Teil an Rhythmus. Es klingt hier ein zentrales, für das Bild unauflösliches Wechselverhältnis zwischen der simultanen Wahrnehmung des Bildganzen und dem sukzessiven Ersehen der Einzelteile an: die Farbfelder finden nur in Bezug auf das Bildganze zu ihrer (rhythmischen) Ordnung, wie die Bildeinheit nur aus dieser Anordnung der Einzelteile sich einstellt. Konkret bedeutet dies, dass wir die Werke in einem einzelnen Blick erfassen, in einem einzelnen Moment vollumfänglich ersehen können, diese simultan gegebene Bildordnung aber nur durch das sukzessive Durchlaufen der einzelnen Farbfelder und deren Verhältnis untereinander nachvollziehen können. Zwischen diesen beiden Ansichtsweisen besteht eine andauernde, offene und unabschliessbare Bewegung, in der wir das Bild immer wieder neu erschliessen. „Wir vollziehen sehend nicht nur nach, sondern wir artikulieren, bringen hervor.” (Gottfried Boehm) Diese Artikulation setzt eine abgeschlossene Einheit des Bildes voraus, ansonsten wären die Bilder der blosse Verweis auf eine mögliche, anderswo lokalisierte, bunte Wandfläche, nicht die hier aktualisierte Anschauung. In dieser andauernden Aktualisierung, entsteht ein imaginärer Bildraum, der in seiner Ausdehnung nicht festzulegen, sondern im Entstehen begriffen ist. Dies wird dort erfahrbar, wo sich nicht nachvollziehen lässt, ob ein Farbfeld einen Durchblick hinterfängt, oder ob sich der Durchblick auf einen sich in die Bildtiefe ausweitenden Raum öffnet. An diesen Stellen begegnet dem Betrachter ein paradoxer Raumpunkt, zugleich in grösster Entfernung, wie auch in höchster Nähe zum Betrachter situiert. Das Eintauchen in die Tiefen des Farbraumes führt in die durch die Bildoberfläche bestimmte Nähe, jeder auf der Oberfläche bestimmte Punkt führt in die Tiefe – eine Wendung zwischen Tiefe und Ebene. Dies ist eine Bewegung, die der Atmung nicht unähnlich ist: In den tiefsten Ebenen des Raumes, dem Punkt höchster Anspannung, hat die Wende zum Ausatmen, zur Rückkehr an die Bildoberfläche bereits eingesetzt. In dieser als Atmung charakterisierten Bewegung, die zugleich in den Bildraum hinein und auf die Bildoberfläche führt, lässt sich Einatmen und Ausatmen nicht voneinander trennen. Es ist eine Bewegung die immer als gegenläufig gedacht werden muss: sosehr das Auge in den Farbraum eindringt, sosehr öffnet sich der Bildraum dem Auge, passt sich ihm einem Handschuh gleich an; und andererseits, sosehr das Bild das Betrachterauge auf der Bildoberfläche aufstossen lässt, sosehr passt das Auge sich der Bildordnung ein. Wir sehen dem „Bild gemäss“ (Merleau-Ponty). Ob der Farbraum dem Blick vorangeht oder ob der Blick diesen Farbraum erst entstehen lässt, ist nicht zu unterscheiden, sondern geht in einer gemeinsamen Bildung auf, lässt einen imaginären Raum entstehen, der dem Blick anstachelnd sowohl vorausgeht, wie auch diesen befriedend umhüllt. Im visuellen Nachvollzug des Bildes sehen wir einen ‚Zeit-Raum,’ der sowohl und zugleich als eine Ausdehnung und als eine Verdichtung in Zeit und Raum besteht. |